E I N L E I T U N G B E R I C H T F O T O S
T A G 1 2 3 4 5 6 7 8

Naturns – Stettiner Hütte
28 km • +2.350 hm • -47 hm • 4 h 40 min

TAG

Halb Sechs. Die Alarmfunktion meines Handys lässt den großen Tag beginnen. Yeah, heute ist es so weit, endlich nehmen wir den Pass der Pässe in Angriff. Doch vor der Gipfelfreude liegt die Schinderei: Einen so langen Uphill wie die 2.300-Höhenmeter-Strecke von Naturns aufs Eisjöchl habe ich noch nie bewältigt (findet man auch nicht so schnell!) Eine Etappe der Superlative also: Auf dem Programm steht der höchste Pass meiner und unserer Transalp-Historie (2.908 m), der, wie gesagt, längste Aufstieg, und die kürzeste Tageskilometerzahl (28).
Entsprechend nervös sitze ich deshalb am Frühstückstisch und habe irgendwie nicht so wirklichen Hunger. Zu allem Überfluss nervt auch noch die Wirtin. Nein, von dem Käse dort dürfen wir nicht nehmen. Wie, wir wollen Saft? Den müssen wir extra zahlen - und bekommen prompt Fanta serviert.

Entsprechend froh bin ich, als wir um kurz vor sieben, endlich, im Sattel sitzen und den Hammeranstieg angehen können. Durch das Schnalstal hindurch läuft es auf der kaum befahrenen Asphaltstraße echt gut. Ich kurbele in flottem, aber bedachtem Rhythmus höher und höher, riskiere einen Blick aufs Schloss Juval, wo Bergsteigerlegende Reinhold Messner wohnt und staune über die schroffen Felsen, die schon hier unten als Ausläufer der Texelgruppe zu sehen sind.
Im Örtchen Vorderkasar beginnt, schon in alpiner Umgebung, der Schotterweg, der schnell einiges an Steigungsprozenten zu bieten hat. Ich nehme Gas weg und lasse Matthias, der auf der vorrangegangen Asphaltetappe meist einige Meter hinter mir hing, ziehen. Ich denke noch darüber nach, dass die langweiligen Trainingskilometer auf dem Rennrad wohl doch was gebracht haben, als er plötzlich da ist: Der Burnout. Zittrig steige ich vom Rad, kruschtle einen Energieriegel aus dem Rucksack und schiebe das Bike die nächsten Höhenmeter. Gierig schlinge ich den Riegel hinunter, den ich eigentlich schon viel früher hätte essen müssen. Blöder Fehler. Aber halb so wild, denn der Riegel zeigt recht schnell seine Wirkung und ich spüre erleichtert, wie die Lebensgeister zurückkehren.

Am Eishof (2.071 m) treffe ich Matthias wieder. Hier gibt es erst mal eine deftige Brotzeit. Wir sind super drauf: In Sachen Zeitplan ist alles im Lack, der Eishof ist eine schön-urige Alm, wir können mit einem netten Biker plaudern, der gerade vom Joch herabkommt, und haben außerdem eine gleich doppelt schöne Aussicht: Erstens auf die nahen Gletscher und zweitens auf die rattenscharfe Blondine am Nachbartisch, die sogar auf 2.000 Metern Höhe einen Tanga trägt.

Begleitet von den begeisterten Blicken und besten Wünschen einer größeren Wandergruppe schwingen wir uns um 12 Uhr wieder in den Sattel. Der Weg wird nun immer hochalpiner. Stufen, Steine und erste Serpentinen wechseln sich ab. Bald können wir nur noch schieben. Was aber gar nichts macht, denn die Umgebung ist einfach grandios: Graue Gletscher, karge Bergspitzen, plätschernde Bäche - die Welt ist schön. Ein italienischer Wanderer staunt darüber, dass hier oben wirklich Verrückte wie wir mit dem Bike unterwegs sind und fragt mich interessiert über meine Ausrüstung aus.

Auch als ich schon 2.000 Höhenmeter auf dem Zähler stehen habe, geht es mir immer noch gut. Um einem weiteren Hungerast vorzubeugen, werfe ich ein Powergel ein. Irgendwann treffen wir auf das erste Schneefeld, dann auf eine meterhohe Felsstufe. Wir merken schon: Weit kann es nicht mehr sein. Ich bleibe erst mal unten stehen und fotografiere, während Matthias voranklettert. Als er den höchsten Punkt der Stufe erreicht hat, ruft er nach unten: "Willst mal was wirklich geiles sehen?" - "Haben wir es geschafft?" - "Ja, dort ist die Hütte!" Hochmotiviert klettere auch ich nach oben. Geschafft! Es ist 14 Uhr, weiter hoch führt der Weg nicht. Unter uns ein kleiner Talkessel und an dessen Ende die idyllische Stettiner Hütte (2.875 m).
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht fallen wir uns um den Hals, machen jede Menge Fotos und geben die Erfolgsmeldung per Handy in die Heimat durch. Auch den italienischen Wanderer treffe ich wieder. Er klopft mir auf die Schulter: "You are very brave!" Tiefzufrieden fahre ich über die ersten Meter der Abfahrt zur Stettiner Hütte hinüber.

Den Nachmittag verbringen wir auf der Hütte (ich belohne mich erst mal mit einem Weißbier) und machen eine kleine Wanderung durch die Umgebung. Als wir beim Abendessen sitzen, lässt sich schließlich auch das angekündigte Gewitter blicken. Nun gut, das hätten wir auch noch geschafft, wenn wir am Morgen später gestartet wären. Aber was soll's, wie wir an diesem Tag gehandelt haben, war die einzig sinnvolle und sichere Vorgehensweise.
Gegen 22 Uhr ziehen wir uns ins Matratzenlager zurück. Mit 2.300 Höhenmetern in den Beinen schläft es sich auch fast 3.000 Metern vorzüglich - zumindest solange, bis morgens um fünf plötzlich Matthias Handy klingelt…


Naturns
581 m

Eishof
2.071 m

Auffahrt

Eisjöchl
2.895 m

Stettiner Hütte

Stettiner Hütte
2.875 m

Abfahrt

TAG
© WW TRAILS, 2000-2004 Letzter Update 08.02.2004